2. Teil: Polen, Tschechien
Irgendwo kurz hinter Kiew ist er dann plötzlich wieder da.
Der stete, motorisierte Geräuschpegel der westlichen Welt. Der Dauerton der Fahrzeuge auf den Straßen, von Düsenjets, Mobiltelefonen, dem Lärm der Industrie…Es gibt kein Entkommen; nicht im dunkelsten Wald, auf der grünen Wiese, oder dem höchsten Gipfel. Nichts hören gibt es nicht. Nur abschalten lernt man schnell – Evolution statt Kollaps? Irgendwo hier, vielleicht bereits schon vor Kiew, scheint für mich ganz klar auch eine akustische Grenzlinie zu verlaufen. Ein eiskalter Schauer rieselt mein Rückgrat hinab…bleibt dieser Lärm für uns ab jetzt hörbar?
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Ich hatte mich an die Stille gewöhnt. In der Steppe, der Wüste, im Gebirge, sie als normal empfunden. Doch was ist schon normal? Ich hatte es genossen nur dem Rauschen eines Wasserfalls zu lauschen, nur dem Gesang der Wellen, des Windes,…es wurde zur Normalität. Ein Geräusch, nicht abgelenkt, zum Alltag.
Wie schnell der Mensch sich an etwas gewöhnen kann…
Hoffentlich funktioniert das Rückwärtsgewöhnen ebenso schnell. Denn ich kann es nicht ändern – die Stille ist vorerst ein Teil der Vergangenheit.
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Ich hole tief Luft…Yogaatmen hab ich immer zu Gaia gesagt…Mutatmen…zur Ruhe kommen.
Und da ist noch etwas. Es duftet nach Wald! Nach Moos und Nadeln, Blättern, Holz, nach Pilzen, Beeren, feuchtem Boden. Ich muss schmunzeln…auch das hatte ich vergessen.
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Irgendwie retten wir uns von einem heißen Tag in den nächsten, mittags und abends ans Wasser. Momentan herrscht ein bisschen meteorologischer Ausnahmezustand im Osten Europas. Über 40 Grad Celsius. Spürbar schon in der Hauptstadt, wo jeder Quadratzentimeter an der Dnepr zur Liegewiese umfunktioniert wurde. Außerhalb herrscht an sämtlichen Badeseen, Flüssen und Tümpeln Hochbetrieb. Selbst viele Lasterlenker stehen in den Straßengräben und gönnen sich eine Erfrischung.
Die Europaweltmeisterschaft ist gerade rechtzeitig zu Ende gegangen, dass wir nichts mehr von ihr mitbekommen und auch von verstopften Fahrbahnen verschont bleiben. In nahezu jedem Cafe entlang der Strecke wird gratis zum Menü WiFi angeboten und behutsam nehmen wir kurz vor dem Aufprall visuellen Skype-Kontakt mit zu Hause auf.
Weder wir noch unsere Gegenüber können das bevorstehende Ereignis so richtig fassen. Drei Jahre sind eine lange Zeit und die letzten Kilometer haben wir im Sauseschritt genommen. Poch, Poch, zwei Wochen noch dann kommen wir!
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Doch zuerst die europäische Außengrenze. Fast werde ich euphorisch beim Anblick des in Khaki gegarnten polnischen Grenzbeamten und ich muss mir ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen. Schwanger sein ist einfach herrlich. Die Geruchserlebnisse sind überirdisch und emotional…wow.
Europa wir kommen!
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Die Heimat von Dichtern und Denkern, die Wiege der Demokratie, der Gleichberechtigung, wo der Kampf gegen Feinstaub und Korruption und für Chancengleichheit ganz oben auf der Agenda stehen.
Europa, unsere Heimat!
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Als der Mensch in Khaki dann auch noch anfängt Deutsch zu sprechen…mei…
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Hier unterbleibt sogar die Kontrolle des Führerhauses, nachdem sich die adrette Dame vom Zoll mit erstaunter Miene einmal durch unser Wohnzimmer gedreht und meinen Bauch bewundert hat. Das hat Stil! Nur eines muss ich an dieser Stelle bemängeln. Ich hätte wirklich mit einem „Welcome to Europe“ Schild gerechnet!
Dann Polen. Ab 7,5 Tonnen aufwärts ist das Fahren im Land ein teures Unterfangen. Sämtliche Diskussionen wir wären kein gewerbliches Fahrzeug und noch dazu historisch, scheitern von vorn herein am fehlenden Interesse, den Vorschriften und Möglichkeiten. Um die horrenden Kosten für die besseren Straßen zu umgehen, umgehen wir die besseren Straßen und tasten uns über die mangelnde Landstraße weiter gen Westen. Zumindest kriegen wir so mehr von der herrlichen Landschaft mit. In den netten Dörfern reiht sich ein ordentliches Grundstück ans nächste. Der Anblick von Menschen, die zu Fuß unterwegs sind wird rarer, es wimmelt von Werbeplakaten und Verkehrsschildern. Auf den ersten Blick könnte man meinen wir wären schon da.
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In Tschechien angelangt wird Wolfgang gleich einmal aus dem Verkehr gezogen. Beim Überfahren einer Verkehrsinsel…äähh, dem Einfahren in einen Kreisverkehr, beginnt es hinter uns wie wild zu hupen, was in hupen untermalt mit Blaulicht übergeht. Wir müssen zur nächsten Polizeidienststelle folgen. Wolfgang wird aus dem Lkw raus gleich in Gewahrsam genommen; ohne Auskunft an mich weshalb überhaupt.
Wie gewohnt packe ich daraufhin den Bauch und das Kind und mache mich angesäuert auf den Weg ins Hauptgebäude. Die spinnen wohl. Schert sich eigentlich keiner darum, dass ich schwanger und ein bisschen sensibel bin? Ich werde etwas lauter, um meinen Missmut zum Ausdruck zu bringen und erkundige mich nach dem Verbleib meines Mannes…Mitleidige Blicke…dann bemüht sich jemand in Zivil aus der vergitterten Sicherheitstür heraus und klärt mich auf Englisch auf.
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Wir hätten einem anderen Fahrzeug die Vorfahrt genommen und jetzt werde geprüft, ob irgendetwas gegen den Fahrzeuglenker vorliege. Aha, und deshalb gleich wortlos von der Familie weg hinter Schloss und Riegel? Ich brauche ein paar Minuten um mich beruhigen zu lassen. Anderswo hätte es das nicht gegeben – oder zumindest nicht ohne Tee! Kurz darauf erscheint Wolfgang neben meinem Gesprächspartner, der unsere Visitenkarte in Händen hält und freundlich lächelt. Das Argument, wir seien drei Jahre in Ländern auf Reisen gewesen, in denen sich der Straßenverkehr ganz anders gestaltet, ein bisschen flexibler könnte man sagen, wirkt tatsächlich und Wolfgang kommt mit einer wörtlichen Rüge davon. Glücklicherweise.
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Immer näher rückt die Endstation dieser Reise, die Geschwindigkeit nimmt noch einmal ab. Auskosten, Ausrollen lassen.
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Um uns herum üppiges Grün von Tannen, Fichten, Kiefern, Eichen, Buchen,…alles ist in wunderbares Grün so Grün getaucht. Was in der Ukraine spärlich begann, zeigt sich nun in all seiner Pracht – der Wald. Heimischer, vertrauter Wald. Ich fühle mich in frohe Kindheitstage versetzt, in denen Ausflüge in die Natur noch fester Bestandteil eines jeden Wochenendes waren.
Wir kommen auf einer kleinen Lichtung zum Stehen und machen uns auf die Pirsch. Im Wald die Spuren einer Wildschweinrotte, der eigentümliche Klang des Eichelhähers in den Wipfeln der Bäume, ein Eichhörnchen kreuzt unseren Weg. Am Waldrand wuchern ganz zu Gaias Freude Walderdbeeren und wilde Himbeeren. Es wimmelt von summenden Bienen. Marienkäfer versteckt in der Wiese voller Gräser und Kräuter. Sogar zwei Rehkitze können wir von unserem Privatausguck, dem Wohnzimmerfenster aus beobachten, als sie sich am frühen Morgen durchs hohe Gras der Futtergrippe nähern. So macht Heimkommen Spaß!
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