MORPHEUSREISEN

auf der straße des lebens

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Varanasi

„Ring Ring Ring“, es ist früh morgens 5:30 Uhr und ein von mir mittlerweile im Unterbewusstsein verdrängtes Geräusch lässt mich aus der Tiefschlafphase aufschrecken. Noch einmal „Ring Ring Ring“ und als sich Wolfgang daraufhin mit dem Satz:„Wir müssen los!“ anschickt aus dem knarzenden, aber geräumigen Bett in unserem „fantastischem“ Zimmer, in dem kauzigen „New Vision Hotel“ aufzuspringen, fällt es mir schlagartig wieder ein. Heute Morgen haben wir eine Verabredung. Eine Verabredung mit dem Sonnenaufgang hinter der Mutter aller Wasser.

 Guesthouse in Varanasi

Wir haben Varanasi erreicht, wohl einen der bedeutsamsten Wallfahrtsorte der Hindus, den „Kindern“ einer der gewaltigsten Flüsse dieser Erde, dem Ganges,  der irgendwo im Himalaja entspringt und bevor er sich hier an der Stadt vorbei wälzt, bereits hunderte Kilometer Strecke hinter sich gebracht hat. Heute wollen wir es wissen und in den spirituell wichtigsten Stunden des Tages, nämlich den kühleren ersten, den Pilgern, Brahmanen, Babas, Sadhus und allen anderen bei ihren rituellen Waschungen und Zeremonien entlang des Ufers beiwohnen.

Gaia ist schnell wach gerüttelt, mit ein paar Schluck Trinkwasser zufrieden gestellt und im Halbschlaf leicht beim täglichen Kampf um die Klamotte überwältigt. Leise schleichen wir uns das enge Treppenhaus hinab, um den unangenehmen Kampfhund des Besitzers nicht in die Stimmung zum Anschlagen zu versetzen, womit er regelmäßig alle Bewohner des Etablissements aus ihren friedlichen Tagträumen reißt…und schon sind wir durch die Hintertür entwischt.

In den schmalen, stinkenden Gassen, die parallel zur Fluss-Promenade verlaufen regt sich noch nicht viel. Ein Mann uriniert geistesabwesend direkt vor unsere Füße, ein anderer fegt sinnlos im Dreck des Vortags herum. Eine Gruppe obdachloser Frauen macht sich soeben mit kleinen Kindern im Schlepptau auf den Weg zum „Main-Gaht“, dem spirituellen Zentrum am Wasser, wo sie sich ihr tägliches Brot neben zahllosen anderen „Systemopfern“ von den Angereisten erbetteln müssen. Die Jalousien der Einkaufsläden, die der zahlreichen Dachterrassen-Restaurants und der „Deutschen Bäckereien“ in den Gassen sind noch wie riesige müde Augenlider herunter gelassen – das Geschäftsleben beginnt erst zu späterer Stunde.

Trotz der trügerischen Ruhe ist Vorsicht geboten, Achtsamkeit gefordert, denn das Pflaster unter unseren Füßen ist nicht allein von Menschen und ihrem Abfall bevölkert, sondern auch von all jenen, die aufgrund jenen Unrats existieren und ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Selbst die Inder machen einem laut brüllenden Ochsen den Weg frei, wenn der seinen massigen Leib über die alten Steine schiebt; räudige Hundehorden ziehen auf der Suche nach den besten, übrig gebliebenen Bissen raufend an uns vorbei und auch das ein oder andere Schwein hebt kurz den schweren Schädel aus einem aufgerissenen Abfallsack, um nach dem Rechten zu sehen, den Randstein kurz mit seinen Ausscheidungen zu verschönern und wieder genussvoll grunzend abzutauchen.

In der verrußten Teestube gleich um die Ecke haben es sich einige Männer bereits bei „Chai“ (Milchtee) und Gebäck gemütlich gemacht und hin und wieder fliegen rote, unappetitliche Spuckeklumpen vom Betelnusskauen aus der guten Stube. Indien eben. Indien, wie es leibt und lebt.

 Heilige Kuh

Nach 10 Minuten sind wir durch und stehen an irgendeinem der 86 Gahts (mit Stufen versehene und Prunkbauten geschmückte Zugänge zum Wasser, die für die rituellen Waschungen der Gläubigen vorgesehenen sind), die im Laufe der Jahrhunderte von sämtlichen Maharadschas und Königen als Ehrerbietung an die Flussgottheit „Ganga“ errichtet wurden.

Zu unserem Erstaunen sind wir nicht die einzigen Schaulustigen, die es zu dieser frühen Stunde aus den Federn geschafft haben. Wir sind spät dran- die helle, gelbe Scheibe zeigt sich bereits uns direkt gegenüber und der schwarz-silbrig glänzende Fluss trägt schon Massen von schwer mit Fotoausrüstung bewaffneter Besucher auf seinem Rücken.

Als denn nichts wie los in die nächstgelegene Jolle.

Boote am Ganges

Und es stimmt. Einige Sekunden später reihen wir uns in die Strömung ein und bestaunen ein einzigartiges und faszinierendes Spektakel, im wunderbar rötlich-warmen Licht der ersten Sonnenstrahlen; der Hintergrund wirkt wie eine unwirkliche, bezaubernde Theaterkulisse aus einer anderen Zeit.

 Sonnenaufgang

Varanasi

Die Reise geht vorbei an mächtigen, rosafarbenen Wasseraufbereitungstürmen mit Abbildungen der Gottheiten Shiva und Ganga,

 Shiva und Ganga

an Waschweibern,

 Waschen am Ganges

Brahmanen bei der Morgenandacht,

 Am Fluss

mystischen Tempeln,

 Versunkener Tempel

Menschen, die sich spirituell „reinigen“.

Von den Suenden reinigen

Ich befinde mich aufgrund der uns bis hierher gebotenen Einblicke in Land und Leute nach wie vor auf einer täglichen Gratwanderung zwischen Faszination und Abscheu. Und auch diesmal…

Diesem „heiligen“ Gewässer, für einen Großteil der Inder die Essenz ihres Glaubens wird auf tausenden Kilometern für den „deutschen Reinheitsgeist“ schier Unglaubliches einverleibt. Fast am Ende einer langen Reise angekommen und so zu sagen „voll bepackt“ dient er dem praktizierenden Hindu schließlich und trotz allem als Quell der Erlösung und Wegweiser in die spirituelle Welt, der er entspringen soll. Prost!

 Als wir das Boot wieder verlassen, bemerken wir das Gaias Körper plötzlich mit roten, großen Quaddeln übersät ist und Panik steigt in mir auf. Wolfgang bleibt ruhig, denn er erkennt als jahrelang Betroffener solche Symptome sofort. Irgendetwas hat eine allergische Hautreaktion bei ihr ausgelöst. Das beruhigt mich nur bedingt und erst als Gaias Kommentar dann folgendermaßen ausfällt: “Aber Mami, die Sonne und eine Putscha heilen das schon!“ bleibt mir zuerst die Spucke weg und schließlich auch die Aufregung. Na gut, wenn sie meint, versuchen wir`s eben mit Sonnenschein und Putscha!

Brahmane

Beim Brahmanen

Bei der Segnung

Weiter gehts am Ganges

Die Verkuendigung

Jetzt kommen wir ins Nirwana

Nur den rituellen Schluck „Ganga“ zum Abschluss lehnen wir freundlich dankend ab.

Eine Stunde später ist der Spuk, durch irgendwelche ungewohnten, äußerlichen Einflüsse ausgelöst, dann tatsächlich für den Moment vorüber.

Wir versorgen uns im Falle eines erneuten Ausbruchs mit einem gängigen Medikament aus der Apotheke, das allergische Reaktionen hemmt, packen auf dem schnellsten Wege unsere sieben Sachen zusammen und sitzen schon am Nachmittag in einer Rikscha stadtauswärts in Richtung Morpheus-Parkplatz.

(Die Bläschen auf der Haut zeigen sich in den kommenden 5 Tagen ohne medikamentöse Behandlung(!) in immer größeren Zeitabständen beim Hautkontakt mit Wasser; jedoch nicht mehr im anfänglichen Ausmaß und zum Glück mit geringem Juckreiz. Danach hört es auf.)

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